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Interview mit Necdet Kalipcioglu und Ahmet Cetiner für Aylin



Im Zusammenhang mit unserer Betreuung für die kleine Aylin Gümüs aus Maintal sprach unser kommissarischer 1. Vorsitzender, Sven Schöning mit Necdet Kalipcioglu (SPD) und Ahmet Cetiner (Die Grünen), die beide mit viel Engagement vor Ort in Maintal die Hilfe für Aylin und ihre Familie unterstützen, ein gutes Beispiel auch für parteiübergreifende Zusammenarbeit und Unterstützung. 

S.S.: Herr Kalipcioglu, wie geht es Aylin und der Familie Gümüs? Sie haben ja oft direkten Kontakt vor Ort.

N.K.: Vielleicht würde man dazu neigen, zu sagen „den Umständen entsprechend gut“. Das beschreibt es aber nicht wirklich. Die Eltern machen alles für Aylin. Sowohl die Pflege, die medizinische Versorgung mit den zahlreichen Arztterminen und zum Teil stationären Aufenthalten und der auffällig liebevolle Umgang, ist für mich immer wieder beeindruckend. Man muss wissen, dass Aylins Einschränkungen schon gravierend sind. Alles was ich sehe, ist das die Eltern im Rahmen Ihrer Möglichkeiten, das Beste für Aylin organisieren. Das ist nicht immer einfach für die Familie. Ich habe den Eindruck, dass es der Familie schon spürbar was bringt, wenn sie sehen, dass auch andere Menschen, wie Herr Cetiner, sich einschalten und sich immer wieder bemühen der Familie zu zeigen, dass sie bei allen Schwierigkeiten nicht alleine sind.

S.S.: Herr Cetiner, Sie haben kurz nach Erscheinen des Artikels über Aylin im Hanauer Anzeiger ein Video erstellt und über Ihre Kanäle auf sozialen Plattformen geteilt. Wie sind Sie auf den Fall Aylin aufmerksam geworden?

A.C.: Necdet hatte in Vergangenheit bei unseren flüchtigen Treffen immer mal wieder eine Familie erwähnt die er unterstützt worauf ich nie so richtig eingegangen war. Erst als Frau Bräutigam den Artikel im Hanauer Anzeiger formulierte, habe ich erstmals das Ausmaß begriffen und Necdet Kalipcioglu meine umfängliche Unterstützung zugesagt. Wer die Schilderung in dem Artikel aufmerksam liest und sich versucht auch nur ansatzweise in die Situation der Familie Gümüş hineinzuversetzen, muss zwangsläufig Betroffenheit empfinden. Das ist mir widerfahren. Weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass sich online ebenfalls gut Spenden sammeln lassen, habe ich daraufhin eine PayPal-Spendenaktion eingerichtet und ein Video dazu gedreht indem ich den Fall #diekleineaylin mit meinen eigenen Worten schilderte. Wer möchte kann also auch unter folgendem PayPal-Link spenden. Den gesammelten Betrag überweise ich dann vollständig auf das Konto Ihrer Organisation „Hand-in-Hand“.

Hier der Link zur PayPal-Spendenaktion: www.paypal.com/pools/c/8Jh5trIvPn

S.S.: Herr Kalipcioglu, Sie kennen die Familie schon länger. Welchen Zwischenstand können Sie bzgl. der Unterstützung für Aylin berichten?

N.K.: Ja, ich kenne die Familie seit Aylins Geburt. Anfangs war das mit der Unterstützung alles natürlich noch kein Thema. Als die Behinderung immer mehr in den Vordergrund trat und wir uns immer mehr über eine behindertengerechte Wohnung und ähnliches unterhielten, bin ich immer aktiver geworden. Aktuell kümmern wir uns um die Wohnungsproblematik und um ein behindertengerechtes Fahrzeug. Das Fahrzeug ist in diesem Fall nicht etwa „nice-to-have“, sondern wirklich erforderlich, um auch Teilhabe am normalen Leben zu ermöglichen. Hier sind wir noch nicht am Ziel, weil wir noch nicht die nötige Summe haben. Aber ich bin mittlerweile sehr zuversichtlich, weil uns viele unterstützen. Wir sind sehr dankbar, dass auch der Verein „Hand-in-Hand“ nicht nur die Spendenaktion massiv unterstützt, sondern auch bei der Beschaffung von Hilfsmittel immer wieder hilfsbereit ist.

S.S.: Herr Cetiner, was denken Sie, wie wir die Unterstützung durch Spendengelder noch einmal ankurbeln können? Wir haben gesehen, dass Sie ein Spendenziel für Ende Mai definiert haben.

A.C.: Durch permanente Präsenz! Unsere Gesellschaft ist aus der Historie der letzten Monate monetär angeschlagen und hat bereits unterschiedlichste wirtschaftliche Herausforderungen tragen müssen. Da sind die nicht enden wollenden Lockdowns durch die Pandemie, direkt gefolgt von dem verantwortungslosen Angriffskrieg des Wladimir Putin, die allseits präsente Spendensammlungen und humanitäre Engagements unserer Mitmenschen nach sich zog und noch immer zieht. Ich sammle jedes Jahr mit unterschiedlichen Aktionen und Organisationen Spenden aber noch nie habe ich es so schwerfällig empfunden wie bei #diekleineaylin. Dennoch sehen wir, dass es geht. Schleppend, aber es geht! Mit einem Facebook und Instagram Video haben wir bereits fast 2.300 € zusammenbekommen. Dies gilt es jetzt auszubauen. Hier kommen meines Erachtens nach jetzt andere Organisationen ins Spiel, die wir um Unterstützung bitten sollten. Jede Hilfsorganisation hat seine/ihre eigene Community die angesprochen werden kann. Des Weiteren kann jede und jeder Einzelne von uns ein Video wie ich es gemacht habe aufnehmen, den PayPal-Link nehmen und über die eigenen Social-Media Kanäle verbreiten. Wir können Flyer in die lokalen Gastronomiebetriebe, Handel und andere stark frequentierte Geschäfte legen und die Betreiberinnen darum bitten die Aktion zu unterstützen. Ich habe hier mal ein Logo entworfen (Siehe Bild 2) das gerne für diese Zwecke genutzt werden kann. Alles in allem braucht es eine kleine Bewegung bei der viele Menschen im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitwirken und die Geschichte von Aylin verbreiten. Es ist natürlich nicht zu unterschätzen, wie viel Zeit dieses Engagement auch jeden Einzelnen von uns kostet. Dies war eigentlich hauptsächlich der Grund warum ich der PayPal-Aktion ein Enddatum gesetzt habe. Dies hilft mir dabei, mich in diesem Zeitrahmen voll auf die Aktion zu konzentrieren und auf ein Ziel hinzuarbeiten.

S.S.: Ein großes Problem der Familie ist auch die Wohnsituation. Eine zu kleine Wohnung im dritten Stock ohne Aufzug, mehrere Bandscheibenvorfälle des Vaters, die Überlastungen sind greifbar. Aber nach einer schnellen Lösung der Wohnsituation sieht es leider nicht aus. Herr Kalipcioglu, wie kann es hier weitergehen?

N.K.: Die Lösung dieses Problems ist wirklich schwieriger als ich jemals gedacht hätte. Man kann es drehen und wenden wie man will. Es gibt zu wenig Wohnraum in Maintal. Es gibt viele Familien, die auch einfach so eine größere Wohnung suchen. Auch hier ist die Situation schon schwierig. Die Stadt und die Jugend- und Familienhilfe „Welle“ versuchen zu helfen. Ich stehe hier in engem Kontakt mit den dort Aktiven. Noch haben wir nichts gefunden. Was kann hier die Kommune tun? An dieser Stelle muss ich politisch antworten und dazu kann ich nur sagen, dass die Situation in Maintal mich wirklich sehr ärgert. Hier geht es nicht nur um eine Familie mit einem behinderten Kind. Wir haben hier viele sozial schwache Familien, die dringend eine geeignete Wohnung suchen. Jeder weiß, dass der freie Markt für Wohnungen zum Kauf oder zur Miete zwar immer noch für eine große Gruppe funktioniert, aber niemals für eine bestimmte, eben auch ziemlich große Gruppe der Gesellschaft. Diese Menschen verlieren wir immer mehr aus dem Blick. Diese Gruppe ist angewiesen auf sozial geförderten Wohnungsbau. Das ist einfach so. Das Problem ist doch nicht seit gestern akut. Es ist ja bekannt, dass es so etwas wie eine Sozialbindung bei den großen Projekten gibt. Hier würden zahlreiche Wohnungen auch für finanziell schwache Familien entstehen. Man muss diese Bauprojekte eben auch mal vorantreiben und durchführen. Realgelände, Maintal-Mitte, Eichenheege, wie sie auch alle heißen, spielt keine Rolle. Von jahrelangem Debattieren und Planen entstehen keine Wohnungen. Ich glaube, dass der Bürger und Wähler ganz genau hinschaut, was wir da machen. Wenn wir es nicht schaffen hier die Gesellschaft zusammen zu halten, sehe ich persönlich große Probleme für die Akzeptanz auch anderer Projekte in der Stadt.

S.S.: Herr Cetiner, haben Sie noch Ideen, wie man bei dem Thema neue behindertengerechte Wohnung im Erdgeschoss oder mit Aufzug helfen kann? Die Lage am Wohnungsmarkt ist nicht unbedingt entspannt. 

A.C.: Ich akzeptiere die Aussage, dass der Wohnungsmarkt im globaler Hinsicht, sicherlich nicht entspannt ist und es einen großen Mangel an Wohnungen gibt. Allerdings lasse ich das im Falle der Familie Gümüs ganz und gar nicht gelten. Mir kann keiner der Verantwortlichen in der Politik oder Stadtverwaltung weismachen, dass es nicht möglich ist für eine Familie, die starke Unterstützung benötigt, eine vier Zimmer Wohnung zu zur Verfügung zu stellen. Deswegen möchte ich an dieser Stelle einen dringenden Appell an unseren Landrat Thorsten Stolz, an unsere Bürgermeisterin Monika Böttcher, an unseren Ersten Stadtrat Karl-Heinz Kaiser, die Parteien und die Fraktionsvorsitzenden der im Stadtparlament vertretenen demokratischen Parteien richten, hier konsequent und umgehend aktiv zu werden! Wenn es in Maintal nicht möglich ist eine Wohnung zu finden sollte es in Hanau, in Bruchköbel, in Erlensee, in Nidderau, in Langenselbold oder einer der anderen 29 Kommunen aus dem Main-Kinzig-Kreis möglich sein. Auch der Landrat des MKK kann und sollte hier dringend unterstützen! Wenn wir wegsehen ist das Problem in unseren Köpfen nicht präsent, dass kennen wir glaube ich alle. Jedoch kann diese Familie und alle die bisher Kontakt mit ihnen hatten nicht weg sehen. Diese Familie ist 24 Stunden in ihrer zwei Zimmerwohnung mit 60 m² gefangen. Hilfe leistende wie „Die Welle“ oder ihre Organisation „Hand-in-Hand“ können in Sachen Hilfsbereitschaft oder Spendenbereitschaft vieles bewegen. In der Wohnungssuche ist das aber eher unwahrscheinlich. Ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin, ein Landrat, viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Stadtverwaltungen aber auch die Politikerinnen und Politiker, können jeder für sich den Telefonhörer in die Hand nehmen und in den benachbarten Kommunen ihre Beziehungen spielen lassen und um Unterstützung bitten. Wer glaubt im gesamten Main-Kinzig-Kreis gäbe es keine Behindertengerechte vier Zimmerwohnung für „eine“ bedürftige Familie, der bewegt sich ausschließlich in seiner Komfortzone! Wer helfen will findet Wege wer nicht helfen will findet Ausreden. Ich bin schockiert und entrüstet über die nicht stattfindende Anteilnahme der kommunalen Politik in Maintal an unseren Bemühungen. Ich sehe, dass wir als Maintaler Gesellschaft noch viel vor uns haben in Sachen Inklusion und Integration.

S.S.: Herr Kalipcioglu, Herr Cetiner, ich danke Ihnen beiden für Ihr Engagement für Aylin und ihre Familie, für das Gespräch und Ihre Zeit!


Im Hanauer Anzeiger vom 19.04.2022 ist der Fall Aylin sehr gut und umfassend beschrieben. Sie können den Artikel über den folgenden Link aufrufen:

Maintal: Dreijährige wiegt 80 Kilo: Mädchen leidet an seltenem Gendefekt – Verein sammelt Spenden (hanauer.de)

Hand-in-Hand hat ein Spendenkonto für Aylin eingerichtet. Aktuell sind etwas über 4.000 € auf dem Konto für Aylin eingegangen. Die Anschaffungskosten für ein geeignetes Fahrzeug liegen bei rd. 21.000 €. Wenn Sie unser Engagement für Aylin und Ihre Familie unterstützen wollen, finden Sie alle Infos zum Spendenkonto bei Hand-in-Hand e.V. in dem Artikel. Wir freuen uns über jede Hilfe, die uns erreicht! Auch hinsichtlich der Wohnung sind wir ansprechbar.

Herzlichen Dank!

Foto (1): Ahmet Cetiner (li.) und Necdet Kalipcioglu treffen sich für ein Gespräch in Maintal.

Foto (2): Logo für die Hilfsaktion „#diekleineaylin“